Wie man es erzählen kann, so ist es nicht gewesen

von Meinhard Michael


Sie sind Schüler von Helfried Strauß, aber ein Dokumentar-Fotograf sind sie wohl keinesfalls. Wie verstehen sie sich?

Mir ist es wichtig, dass meine Bilder aus dem Leben kommen; dass ich sie finde und nicht konstruiere. Trotzdem geht es in meiner Arbeit nicht darum zu dokumentieren, sondern darum, etwas zu verdichten oder aufzuzeigen.


Woher kommt das Ausgangsmaterial genau?

Genau eingrenzen kann ich das nicht. Ich gehe beispielsweise viel in sakrale Räume, beschäftige mich mit Malerei und docke dort mit meinen Bildern an. In Pietà-Darstellungen z.B. steckt immer etwas, was alle verstehen. Das kombiniere ich dann mit eigenen Bildern, so dass nicht mehr die Kreuzabnahme im Vordergrund steht, sondern deren Bedeutung. Es entsteht etwas, über das man schreiben könnte: Scheitern. Aber das in Sprache zu packen, macht es viel zu einfach und zu konkret.


Sie betonen die Unübersetzbarkeit, auch wenn da etwas erzählt wird?

Ich zitiere gern Christa Wolf: Wie man es erzählen kann, so ist es nicht gewesen. Wir verfälschen ja schon, wenn wir versuchen, darüber zu sprechen. Natürlich müssen wir sprechen, müssen miteinander kommunizieren. Aber was wirklich passiert - oder was es für denjenigen, dem es passiert, bedeutet - ist in Worten schwer fassbar. Das geschieht für mich in Bildern viel besser. Sie bringen etwas auf den Punkt und lassen es trotzdem offen. Wenn man vor ihnen steht, bekommt man eine Ahnung des Gemeinten, die man in sich selbst konkretisieren - zu Ende denken muß.


Der Sinn in ihrer Arbeit entsteht dann gewissermaßen 'am Schnitt'?

Genau. Er entsteht in der Kombination verschiedener Bilder und deren Bedeutungsaspekten. Das Dazwischen ist sehr wichtig und vieles passiert hier nonverbal. Aber wir kennen und erkennen diese Aspekte trotzdem sehr schnell und intuitiv. Ich arbeite viel mit Bildpaaren oder besser: mit dem Bedeutungsraum dazwischen.


Auch wenn man nie exakt sagen könnte: Das ist es. Wie würden sie ihre Themen umreißen?

Es geht um Macht und Ohnmacht, auch um Scheitern. Ich habe meine Arbeit früher gerne mit Lyrik umschrieben. Dort geht es ja auch nicht um die Wörter, die da stehen, sondern um das, was zwischen den Zeilen steht. So verstehe ich auch meine Bilder. Ich biete Reflektionsflächen an, in denen man sich selbst entdecken kann.


Sie verwenden auch gefundene Bilder. Was wird dadurch anders?

Diese Bilder sind schon auf einen Punkt gebracht, und ich verwende sie in einem anderen Medium, z.B. als große Scans. Hier liegt meine Arbeit eher in der fokussierteren Auswahl: Zu fragen, ob dieses Bild wirklich in meine Arbeit passt oder wie es durch den Kontext meiner Arbeit umgedeutet wird. Wenn das schwarzweiße Bilder sind, ist das wichtig. Die gefundenen Bilder sind oft 50 und 100 Jahre alt. Es ist zu sehen, dass sie nicht aus unserer Generation stammen. Das transportiert automatisch Erinnerung, vergangenes Leben, vergangene Welt.


Manchmal ist Altes mit Neuem kombiniert, Kunst mit Alltag, gibt es methodische Prinzipien?

Das 'Prinzip' ist ein rein intuitiver Zugang zur Welt. Das habe ich unter Anderem auch von Helfried Strauß gelernt. Wenn wir zusammen Bilder sortieren, dann wird eigentlich nicht geredet, sondern geschoben und immer wieder neu kombiniert. Man entdeckt dann, dass man bei den gleichen Kombinationen nickt, das Gefühl hat, ja, das ist richtig so. Ohne dass man genau sagen kann, warum - sowohl inhaltlich als auch formal.
Zum Prinzip gehört auch, daß meine Bilder nach einem aufmerksamen Betrachter verlangen, der bereit ist nicht 'die Welt', sondern vor allem sich selber in der Welt zu entdecken.


Sie haben auch installative Momente eingebaut, kleine Objekte, warum diese Erweiterung?

Ja, das ist in den letzten Jahren immmer wichtiger für mich geworden. Es reizt mich, mit gefundenen Gegenständen zu arbeiten. Vielleicht möchte ich damit auch einfach die scheinbare Oberflächlichkeit der Fotografie verlassen. Wenn sich außer Bildern noch etwas dreidimensionales im Raum befindet, wird der Betrachter viel schneller Teil der Geschichte und die Arbeiten wirken so auch in den Raum hinaus und sind nicht nur die Erfahrung eines Gegenübers.



Januar 2011